Emilia Pérez: Selena Gomez und der Teufelskreis der Gewalt - Kritik zum Cannes-Film (2024)

"Emilia Pérez" ist ein Film vom französischen Regisseur Jacques Audiard ("Der Geschmack von Rost und Knochen"). Hauptsächlich in spanischer Sprache gedreht, übernahmen Marvel- und "Star Trek"-Star Zoe Saldana sowie Selena Gomez und Karla Sofía Gascón die Hauptrollen. In einer Nebenrolle ist der venezolanische Schauspieler Edgar Ramírez ("American Crime Story") zu sehen.

Der Film ist ein Crime-Musical mit Liedern der französischen Musikerin Camille. Die Choreografien zu den Songs sind dabei besonders eindrucksvoll. Es handelt sich um visuell berauschende Szenen, die ein gewisses Maß an Surrealismus und 2000er-Musikvideo-Vibe mit sich bringen.

Ohnehin ist die Gangster-Geschichte, auf die gleich noch eingegangen wird, erstaunlich kompatibel mit den Musikeinlagen, die in "Emilia Pérez" nicht fröhlich, sondern hart und adrenalingeladen sind.

Gewalt führt zu Gewalt

Die Handlung folgt einem als männlich eingeführten Gangster-Boss, Manitas, der sein Leben als Gangster hinter sich lassen möchte und sich daher das Geschlecht angleichen lässt. Fortan unter dem Namen Emilia Pérez (Karla Sofía Gascón) lebt sie das Leben einer gesetzestreuen Bürgerin. Ihre Familie musste sie jedoch noch vor der Angleichung wegschicken, und den Tod ihrer einstigen Identität vortäuschen, sodass auch die ihr nahestehenden Personen denken, Gangster-Boss Manitas sei tot.

Wenngleich Emilia Pérez sich gegen Korruption einsetzt und versucht, ihre Schuld aus ihrem, nennen wir es, damaligen Leben zu begleichen, nimmt ihr Leben eine Wendung, als sie wieder Kontakt zu ihrer Frau Jessi (Selena Gomez) und ihren gemeinsamen Kindern aufnehmen möchte.

Die Reunion, in der sie immer noch nicht offenbart, wer sie ist, reißt alte Wunden wieder auf und führt dazu, dass Emilia Pérez in alte Muster zurückfällt und auch Selena Gomez' Charakter dem Teufelskreis der Gewalt nicht mehr entkommen kann. Es ist eine tragische Geschichte, in der klar wird, dass der Gewalt, der man entstammt und die man verübte, nur schwer entkommen werden kann.

Die Härte dieser Gewalt wird zwar visuell auch umgesetzt, hat jedoch noch einen deutlicheren Nachdruck in der Inszenierung der Tanzszenen, die eine Körperlichkeit wie beim Ausdruckstanz und eine Strobo-Beleuchtung mit sich bringen, dass wir uns als Zuschauende im besten Sinne überwältigt fühlen.

Ist der Film mit einer Trans-Hauptdarstellerin ein guter Film für die LGBTQIA+-Community?

Mit einer Transhauptdarstellerin stellt der Film an der Repräsentationsfront sicherlich ein Highlight der diesjährigen Cannes-Filmfestspiele dar. Und ich als Cis Mann kann mich unmöglich in die Situation hineindenken, um zu urteilen, aber ich frage mich, ob ich als einziger den Film als schwierig empfinde.

Dass die Hauptfigur ihr Geschlecht angleichen lässt, um legalen Konsequenzen zu entkommen und schließlich ein falsches Spiel, selbst mit der eigenen Familie, spielt, könnte nur weiteres Misstrauen schüren bei denjenigen, die wenig Toleranz gegenüber der LGBTQIA+-Community haben und somit weiteren Hass "legitimieren".

"Emilia Pérez" lässt immer wieder die Frage nach der Glaubhaftigkeit dieser Angleichung aufkommen, was zu einem bitteren Beigeschmack führt. Die Hauptfigur insistiert zwar, sich schon immer als Frau gefühlt zu haben. Aber ist dem Glauben zu schenken? Das Motiv des neuen Lebens mit neuer Identität schwingt zu stark mit.

Ob ich den Film nun falsch interpretiere, zu penibel bin oder aber einfach nicht in der richtigen Situation, darüber zu urteilen, ist schwer zu sagen. Es ist auf jeden Fall ein Aspekt, der zu Diskussionen anregen kann. Und Filme, die zum Diskutieren anregen, sind in letzter Zeit doch eher rar geworden.

Ob nun trotz oder gerade wegen dieser schwierigen Darstellung ist der Film daher einer der eindringlichsten und eindrucksvollsten Filme des diesjährigen Wettbewerbs um die Goldene Palme. Und vor allem diese komplizierten Gefühle bezüglich der Thematik machen den Film zu einem Werk, das noch lange nachhallen wird.